In einer lauten Welt wird geschwiegen.
Menschen werden leise. Die Brücke zwischen Toten und Lebenden ist Liebe und Mitgefühl. Ist Hilfe, wie und wo auch immer möglich.

Menschen weltweit gedenken Opfern des Tsunami.
Es scheint sich eine Nabelschnur um den Globus zu legen. Eine, die aufzeigt, dass der Mensch eben doch grösser angelegt ist als bis zu seiner Nasenspitze und seinem einsamen Egoismus.
Sein vor Haben, Mitgefühl vor Abstumpfung - sie machen sich eindrücklich breit.

Wie kommt das Leiden in die Welt? Die mittelalterliche Theodizee gibt viele Antworten darauf. Leiden als Zeichen, dass etwas nicht stimmt. Leiden als Chance zur Reifung. Leiden als Ausbruch aus dem Korsett des eigenen Narzissmus. Leiden als Einladung, auf andere zuzugehen. Vielleicht bringt es die Dichterin Luise Rinser in ihren Tagebuchnotizen "Wir Heimatlosen" auf den Punkt: "... wichtig bei allem sind "meine Reaktionen auf das, was ich sehe. Eine höhere Instanz beobachtet meine Reaktionen. Was einzig Wirklichkeit ist, das sind meine Reaktionen. Es ist die Art, in der ich geprüft werde."
Man schreibt das 13. Jahrhundert. Eine junge Frau flüchtet von Zuhause. Getrieben von ihrer Botschaft der Liebe zu Gott. Und ihrer Ethik. Zwischen lodernden Scheiterhaufen brennt ihr politisches Feuer der Rebellion heisser als die Angst vor dem eigenen Mut.
Sie schreibt Bücher, berührt die Herzen, rüttelt an gesellschaftlichen Tabus, ruft auf zur Selbstverantwortung. Sie stösst männliche Gottesbilder um und trotzt ihren mächtigen Kirchenfeinden. Ihr Leben ist eine einzige Liebesgeschichte inmitten von Todesdrohungen. Rebellisch. Berührend. Die Rede ist von Mechthild von Magdeburg. Eine Wiederentdeckung in dieser Zeit der Resignation und der Sinnsuche vieler.

Was bedeutet diese Mittelaltergeschichte heute für uns? Vielleicht ist sie ein Beispiel dafür, was ein einzelner Mensch weit über seine Lebenszeit hinaus bewirken kann - vielleicht als Botschafterin der Liebe. Einer Qualität, von der zwar die ganze Literatur und Kunst trieft, die jedoch gemeinhin als "naiv" gilt und bestenfalls zum Schmunzeln veranlasst. Und dennoch stiftet die Liebe seit jeher Menschen zu Höhenflügen an und lässt sie Grosses schaffen. Solches, das sie stets über die Niederungen der alltäglichen Boshaftigkeiten und Trivialitäten trug und sie Quantensprünge der Menschlichkeit vollziehen liess. Wenn Mechthilds Botschaft die Liebe ist und ihr Appell die Selbstverantwortung, dann ist sie aktueller denn je. Gerade jetzt, wo viele Menschen ob Sinnfragen verzweifeln, an der Lieblosigkeit verkühlen und den Glauben an das Gute im Menschen verlieren, tun solche Vorbilder gut. Gar mancher, der zwischen zeitgemässen "Scheiterhaufen" brennt und sich existentiell durch wirtschaftliche Probleme bedroht sieht, der in Angst vor dem eigenen Mut in Schicksalsergebenheit weit unter seinem Potenzial lebt und die Schuld stets den andern gibt, könnte sich hier ein Stück Selbstverantwortung abschneiden. Gar manche, die ihr Schicksal, als Frau geboren zu sein noch immer (bei uns auf höchstem Niveau) beklagt und es sich in weiblichem Opferdenken bequem macht, könnte sich ebenfalls auf eine 800-jährige Frau besinnen, die ihr Leben in die Hand nahm und ihre Stärken und Talente ganz selbstverständlich gebrauchte. Ganz egal, ob sie dabei den Anstand der weiblichen Bescheidenheit verliess und sich selbst als Frau definierte, unabhängig von Fremdbestimmung. Und gar mancher Mensch könnte seine Seele am Glauben an etwas Höheres wärmen, würde er davon hören, wie erfolgreich eine Rebellion des Herzens und der politische Widerstand im Dienste der Menschlichkeit alles andere überlebt. Die Welt ist eben doch stets das, was wir von ihr denken.

Mit strenger Liebe und lauter Stimme kämpfte die lebensmutige Mittelalterfrau gegen Ungerechtigkeiten und Machtmissbrauch ihrer Zeit. Sie proklamierte die Liebe und kämpfte gegen den verkommenen Klerus ihrer Zeit und die zunehmende Inquisition gegen anders Denkende, vornehmlich gegen Frauen. Sie verurteilte Krieg "Im Namen Gottes" und stellte den "Mann namens Gott" in Frage, weil sie auch seine weiblichen Züge entdeckte. Ihre Visionen erhielt sie direkt von Gott. In sieben Büchern beschrieb sie die Wahrheit und liess auch gleich verkünden, dass diese niemals verbrennen würden. Nur selten jammerte und meistens handelte sie, kompromisslos ihren Werten verpflichtet und beseelt in alle dem, was sie tat oder - liess. Ein Mensch bewegte seine Zeit. Ein Mensch allein. Welch erfrischende Botschaft für alle, die sich stets vor der Verantwortung mit der Ausrede drücken, dass einer allein nichts verrichten kann. Hier lehrt die Geschichte das Gegenteil!

Vielleicht ist das Leben dieser Frau auch ein Zeugnis davon, dass Wahrheit, Echtheit und Ehrlichkeit - allesamt gelten sie inzwischen als mindestens so naiv wie die Liebe selber - auch in abgeklärten und politisch opportunistischen Gesellschaften wie der unseren stets gewinnen werden. Noch ein Stück Hoffnung für uns also.

Und es ist ein historisches Zeugnis davon, dass der Umgang mit Macht gelernt und in erster Linie von jedem sorgsam observiert werden muss, weil der Umgang mit Macht von charakterlicher Integrität getragen werden muss. Keine Kriegsführung und keine Intoleranz gegen anders Gläubige oder Denkende kann durch eine Dogmatik legitimiert werden. Besonders dann nicht, wenn die Botschaft die Liebe ist. Die Themen könnten aktueller nicht sein.

Sie gelten besonders auch für Führungskräfte der Wirtschaft und Politik, für jene, die ihren langfristiger Erfolg auf Verantwortung und Transparenz ihres Sprechens und Handelns bauen. Welche pragmatisches Führen stets mit Ethik und Menschlichkeit in diesen turbulenten Zeiten koppeln.

Wir können die modernen Rebellinnen und Rebellen sein, die den eigenen Glauben an die Liebe und Menschlichkeit vorleben. Ohne deswegen naiv oder antiquiert zu wirken. Der Erfolg wird uns recht geben. Oder eben: "Die Wahrheit kann niemand verbrennen." Diese Werte gelten heute mehr denn je.

 

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