Dr. Sonja A. Buholzer

Selten habe ich Coaching-Sitzungen erlebt, die in ihrer Heftigkeit von Dauerstress geprägt sind. Laufende Prioritätsänderungen, zusätzliche Meetings, Agenden, die bersten von Sitzungen und Sitzungsverschiebungen. Kaum Reset-Pausen, dazu familiäre Pflichten, kranke Familienmitglieder, unklare Schnittstellen und so weiter.

Heftige Zeiten. Und als Doping die Forderung, agil und relaxt zu reagieren.

Gerade Frauen mit ihren Vielfachansprüchen an Perfektion in alle Richtungen drohen, sich auszupowern. Ergebnis: Demotivation, Sehnen nach Neuausrichtung, nach Ruhe, nicht selten verlieren sich die Leistungsträgerinnen und -träger selbst.

Zurück bleiben Leere und das Gefühl der Sinnlosigkeit. Wie geht denn agile Führung in solchen Zeiten? Worauf kommt es an und welche Strategien bewähren sich jetzt, in dieser Post-Corona-Zeit der Leistungsbeschleunigung?

Vorab einige Inputs zum Gebot der Stunde: Agile Leadership. Sie ist nichts Neues. Jedoch: sie ist radikaler geworden.

Sie heisst: blitzartig entscheiden. Try and error als Lernkultur etablieren. Keinen Alleingang als Ego-Trip wagen, die Instrumente der agilen Führung im freischwebenden Zustand unbekannter Gewässer und ihren Gesetzen folgen. Sie heisst auch, blitzschnell reagieren, wach und «aware» fortlaufend neu priorisieren und - Grenzen setzen.

„Agile Leadership“ ist ein kostbares Mindset, das mit einer offenen Toolbox von Coaching-Werkzeugen bemüht ist, sich verdichtende Komplexitäten zu managen.

Komplexitäten heute, die niemand, wirklich niemand – beherrscht, sondern von denen wir beherrscht werden, und die uns komplett überfordern. Wir können der Wissenschaft folgen und uns als konstant Lernende verstehen.

Wie geht das?

Eine Fehlerkultur ist hierin zentral: Man kann die empirische Methodik von „try and error“ anwenden, indem man, gestützt auf zuverlässige Daten und Fakten, rasch entscheidet, Fehlentscheide unverzüglich korrigiert und – kommuniziert. Indem man das Gelernte fortlaufend in neue Prozesses einbezieht und so permanent optimiert. Diese Grundhaltung, dass Fehler sehr bewusst zur „Lernenden Organisation“ und zu „Lernenden Teams“ gehören, will man Excellenz aufbauen, ist essentiell.

Agile Elemente sind aber auch kreative, „out of the box“-Visualisierungen, Retrospektiven, delegierte Teamentscheide, sie sind immer iterative Prozesse, Stand-up-Meetings, permanente Interaktion mit dem Team, ein ausgeprägtes „WIR-Denken“, kontinuierlicher Wissensaustausch, Team-Entwicklung auf allen Ebenen, Sparring-Partnerschaften, Mentoring und schliesslich das Vermitteln, dass NICHT die Position in erster Linie zählt, sondern die Rolle jedes einzelnen. Wohl wissend, dass sich diese rasch wieder ändern können.

Agile Leadership ist die Kunst, das «Expect the unexpected» zu beherrschen und die noch grössere Kunst, in diesem Change der Unbekannten nicht verloren zu gehen.

Was heisst das für die Führung auch noch?

Ein „agiler Leader“ hat die delikate Aufgabe, sich selbst tendenziell überflüssig zu machen und sein Team zu befähigen, diese „dritte Seite – die wir alle nicht sehen“ zu öffnen: Durch seine Grundhaltung der Offenheit für Neues, durch kritisches Hinterfragen, flexible Rollen und Strukturen, durch konstruktive, kritische Feedbacks und permanente Weiterbildung aller am iterativen Prozess Beteiligten.

So, nun mache ich den Schwenker zu einem Thema, das Gegenstand auch von zwei meiner Bücher ist.

Leidenschaft Tauchen: Genauer: Tauchen mit Haien. Als Tauchinstruktor habe ich vor vielen Jahren in den Bahamas Dr. Erich Ritters «Shark School» absolviert und mich einweisen lassen in die Wissenschaft und Praxis der Interaktion mit Haien.

Was das für unser Thema heisst und «Agile Leadership» letztlich mit meinem Lernen von Haien zu tun hat, beleuchte ich jetzt gerne. Lernen von der Natur, von den 420-Millionenjahr-alten Top-Survivern der Meere ist mein Credo und begleitet mich in allen Management-Coachings weltweit immer wieder.

Hier sind einige Analogien zum Aufwärmen…

Ganz oder nicht. Es gewinnt, wer rasch entscheidet.

Der Sprung ins Wasser zu den Haien ist ein Entscheid. Er ist die perfekte Analogie zu Karriere-Schritten.

Vorbereitung ist alles. Dazu gehört das gemeinsame Erarbeiten von Szenarien für das «Expect the unexpected.»

Die Vorbereitung ist somit bereits out of the box-thinking. Und das geht nur im Team, mit versammelter Brainforce.

Command/ control funktionieren nicht mehr. Wir haben die Kontrolle über zuverlässige Erfolgs-Indikatoren verloren. Empirisches Try und Error ist der Weg. Und die Selbst-Befähigung des Menschen.

Awareness ist alles.
Die absolute Ungewissheit nach dem Sprung ins Wasser zu den Haien hat eine einzige Konstante: sich selber. Das Wissen der eigenen Stärken, Schwächen und Reaktionen angesichts unbekannter Faktoren. Des eigenen Umgangs mit Angst. Mit Panik. Das Erkennen von Triggern, die aus unserem Vernunftdasein emotionale Reaktoren werden lassen. Somit ist die oberste Hierarchie der Maslowschen Pyramide – Selbsterkenntnis – das A und O von Agile Leadership. Die Zeit der blinden Egomanen ist vorbei.

Ergänzend. Ich zum Netto-Wert.
Wer sich nicht kennt, mit sich nicht ehrlich ist, wer etwas vorspielt oder auf Standards referenziert, ist in Gefahr. Es ist dieses Alles oder Nichts, das sich selbst vergessen können als Ego und Momente des wirklichen Sich-Selbst-Seins in seinem innersten Kern. Vielleicht auch seinen eigenen intuitiven Sensoren, die im Umfeld von Haien seltsam aktiviert werden können. Es beinhaltet auch «sich selbst überflüssig machen» und andere befähigen zu mehr und mehr Verantwortung.

Ratio und Intuitio.
Man spricht von morphogenetischen Feldern, von einem kollektiven Bewusstsein innerhalb einer Spezies, von Triggern, die diese Rezeptoren bei uns aktivieren können; vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein und kann Kontrolle verlieren wollen – überlassen, vertrauen, sich übergeben, ja – eine Hingabe an dieses andere Regelwerk stemmen -; dann kann diese Einbindung und Re-Integration in kollektives Spüren seines ganzen Seins und Wesens Kräfte und Talente entfachen, die staunen lassen.

Keine Sologänge.
Dies kann nur im Buddy-Team und in der Gruppe von anderen entstehen. Alleingang ist lebensgefährlich. Mit anderen Worten: Team-Work ist die einzige Chance, in diesem Environment zu überleben, zu reüssieren und im Team neue Erfahrungen zu machen, die uns weiterbringen. Und: gerade der Schwächste im Team verlangt unsere Aufmerksamkeit. Da es ihn immer gibt – kann er uns alle in Gefahr bringen, gehört besonders betreut, gefördert und eingebunden.

Wer die Environment-Bedingungen nicht kennt, wer sich nicht hier Mentoren holt, wer sich nicht vorbereitet mit Experten dieser Gewässer und deren Eigenheiten, kann scheitern.

Kein Erfolg ohne Grenzgang.
Shark Diving ist das explosive Gemisch von Grenzgang, eigener Expertise, Netzwerk-Begleitung, geschriebener und ungeschriebener Spielregeln, ist Adrenalin und Kombination von strategischer Intelligenz und Intuition. Ist die konsequente Verwendung von Erfahrung und Beratung, von Können und Wissen, von Entschlossenheit und Abwarten, kurzum, vereint etliche Fähigkeiten zu einem Ganzen.

Konstantes Self-Assessment.
Wer Karriere als die Kunst des Shark Divings sieht, wird keinen Moment zögern, all dies als Assessment für sich selbst einzusetzen. Der Lohn ist Expansion im beruflichen und persönlichen Sein.

Ist nicht gerade dieses Wagnis wertvoll, immer wieder über sich hinauszuwachsen, täglich dazuzulernen, sich challengen zu lassen, sich bis zum absoluten Null-Punkt hinterfragen zu lassen, immer wieder als Phönix aus der Asche neu herauszusteigen und wissender, erfahrener und stärker, die eigenen Excellenzen in den Dienst seines Könnens und Wissens zu stellen?

Shark Diving im Management, in der Karriere, ja, im Leben per se – ist die Kunst der dauernden Transformation der eigenen Persönlichkeit bis hin zum Kern des Seins.

Territoriale Overview/ Augenkontakt.
Weitere Trigger auf einen Blick: strategisches territoriales Überblicken von Ansprüchen – die Aufteilung von inner – und outer Circles am Chumsicle sind matchentscheidend.

Haltung bewahren bei Bedrohung – Auge in Auge-Kontakt halten – Angriffe von unten und von hinten vermeiden durch permanente Awareness –Angriffen mit proaktivem Abwehren begegnen – geordnete Rückzüge im Buddy-Team – den eigenen Energielevel (Luftmanagement) im Griff haben und mehr.

Wer es wagt, diese Welt (auch metaphorisch) zu betreten, wird permanent über sich hinauswachsen und lernen in Quantensprüngen.

Und genau hier tritt „Agile Leadership“ in Kraft: Es ist die höchste Form einer Survival-Fähigkeit, im sich rasant verändernden Umfeld des digitalen Zeitalters zu reüssieren. Mit kühlem, ruhigem Kopf und disziplinierter Kraft der eigenen Stärken.

Dr. Sonja A. Buholzer, Vestalia Vision, Zürich

 

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